Hamburg, Kultur
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68. Pop und Protest – Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Ronald Traeger (1936-1968), Twiggy 1966, © Tessa Traeger

Was für eine Zeit! Rund um das Jahr 1968 erschütterte eine ganze Reihe politischer und gesellschaftlicher Ereignisse die Menschen. Sie veränderten die Welt nachhaltig und ihre Auswirkungen sind bis heute spürbar.

Zum 50. Jahrestag zeigt die Ausstellung „68. Pop und Protest“ im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, wie gravierend die Umbrüche in Politik, Gesellschaft und Kultur waren und wie stark sie bis heute nachwirken.

Revolutionäre Ereignisse erschüttern die Welt

Gleich zu Beginn werde ich als Besucherin mitten hineingeworfen in diese dramatische Epoche. Pressefotos aus dem Jahr 1968 sowie kurz davor und danach erscheinen großformatig auf Leinwänden – Bilder, die jeder als Symbole ihrer Zeit kennt: Kinder, die in Vietnam vor Napalm-Bomben flüchten. Menschenmengen, die in den USA gegen den Krieg in Südostasien protestieren. Arbeiter während der Kulturrevolution in China. Martin Luther King und Robert Kennedy nach ihrer Ermordung. Sowjetische Panzer, die in der ČSSR den Prager Frühling niederschlagen. Der wilde Generalstreik in Frankreich. Studentenproteste, die ganz Europa erschüttern. Bilder vom toten Benno Ohnesorg, der während der Demonstrationen in Berlin erschossen wurde. Und so weiter. Die ersten Minuten stehe ich nur vor den Leinwänden und lasse die zahllosen Fotos an mir vorbeiziehen, die belegen, welche Dramatik die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse dieser kurzen Zeitspanne hatten.

Foto: Michaela Hille

Den Protest in die Welt hinaustragen

Es ist daher kein Wunder, dass der erste Abschnitt der Ausstellung sehr politisch ist und dokumentiert, wie die Protestierenden ihre Forderungen bekannt machten; ihre Forderungen nach mehr individueller Freiheit, nach mehr demokratischer Teilhabe, nach einer offeneren Gesellschaft und politischen Reformen, nach Gleichberechtigung von Mann und Frau und in den USA auch nach der von Weißen und Schwarzen.

Selten zu sehen: „Unter den Talaren …“

Das legendäre Banner „Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren“, mit dem Hamburger Studenten die Aufarbeitung der Nazi-Zeit forderten, ziert zum Start die Wand des ersten Saals. Das allein lohnt meiner Meinung nach schon den Besuch im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, denn das Banner wird als einmaliges und wertvolles Zeitzeugnis nur sehr selten präsentiert. Drumherum: zeitgenössische, revolutionäre Schriften sowie Flugblätter und Plakate, die den Forderungen nach demokratischer Teilhabe und mehr individuellen Freiheiten Ausdruck verliehen.

Radikal, bunt, kreativ und vielseitig

Neben den Aktionen auf den Straßen und öffentlichen Plätzen war es vor allem die Kunst, in der der Protest seinen Ausdruck fand: in Theaterstücken wie Peter Handkes berüchtigte „Publikumsbeschimpfung“, in PopArt, Happenings und spektakulären Kunstaktionen sowie in unabhängig hergestellten Kurzfilmen, in Drucken, die in freien Werkstätten hergestellt und dann unters Volk gebracht wurden: radikal in der Aussage, bunt, vielseitig und kreativ in der Gestaltung! Wie bunt diese Zeit war, beweist ein Höhepunkt der Ausstellung: die unter Denkmalschutz stehende ehemalige Spiegel-Kantine, die im Museum für Kunst und Gewerbe wieder aufgebaut wurde und den Gast in ein knall-orangefarbenes, psychedelisches Paralleluniversum versetzt.

Verner Panton (1926-1998), Spiegel-Kantine, Snackbar, 1969, Foto: Michael Bernhardi/Spiegel Verlag, 2011

Von Kunst bis Pop

Je weiter ich in die Ausstellung „68. Pop und Protest“ vordringe, desto mehr aber rückt die politische Diskussion in den Hintergrund, auch wenn sie allein durch diesen schrittweisen Übergang immer im Bewusstsein bleibt. Design, Mode und Musik stehen mit einem Mal im Mittelpunkt. Und die gezeigten Stücken machen überdeutlich, wie prägend diese Epoche für unser heutiges ästhetisches Empfinden, für die Entwicklung der Künste ist. Vieles wirkt bis heute unglaublich modern, so modern, dass es kaum zu glauben ist, dass die Entwürfe bereits 50 Jahre alt sind.

Wie immer gehört für mich die Mode zu den interessantesten Bereichen. Sie spiegelt die Ideen und Vorstellungen ihrer Träger und Trägerinnen, die so ein öffentliches Statement abgeben, ohne ein einziges Wort zu sagen. In den 60er-Jahren wandern die Rocksäume beständig nach oben, der BH dient nicht mehr als Ersatz für das Korsett, sondern bietet Bewegungsfreiheit, und die Kleider werden luftiger, lockerer – und sie sind aus Papier, bedruckt mit subtilen oder auch weniger subtilen Botschaften. Die Geschlechtergrenzen verschwimmen: Die Mode für Männer wird weiblicher, die für Frauen männlicher.

„Campbell Souper Dress“, 1966-68, 1966-68, Cellulose/Nylon-Vlies, Erworben mit Mitteln der Campe’schen Historischen Stiftung, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Ein Ausflug nach Monterey

Am längsten aber bleibe ich bei der Musik hängen. Den LPs der damaligen Zeit ist ein ganzer Saal in „68. Pop und Protest“ gewidmet. Es ist sehr lustig, zu beobachten, wie die einzelnen Besucher vor den Vitrinen stehen bleiben und sich gegenseitig davon berichten, welche Platten sie besessen hätten und welche Erlebnisse sie mit welchem Künstler bis heute verbinden. Herzstück dieses Saals ist eine große Leinwand, auf der in Endlosschlaufe die legendäre Dokumentation des Monterey Pop Festivals 1967 läuft. Irgendwann liege ich also auf der großen grünen Liegefläche davor und schaue Jimi Hendrix dabei zu, wie er seine Gitarre erst küsst und dann verbrennt, wie Janis Joplin ihre ersten großen Auftritt feiert und wie Ravi Shankar sein Publikum scheinbar in Trance spielt.

Günther Kieser (*1930), Jimi Hendrix Experience, 1969, Offsetdruck, 118,9 x 84,1 cm, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, © Günther Kieser

Zeitreise und Hommage in einem

„68. Pop und Protest“ macht als Ausstellung Spaß, vor allem, weil viele Ausstellungsstücke auf uns sehr skurril wirken, Erinnerungen wecken oder bis heute aktuell sind. Und die Ausstellung trägt dazu bei, eine Epoche richtig einzuordnen, die heute gern belächelt, von vielen aber vehement abgewertet wird. Viele unserer heutigen persönlichen Freiheiten haben wir den Menschen zu verdanken, die damals für ihre Rechte auf die Straße gingen, die sich gegen Konservatismus und eine verstockte, biedere Gesellschaft einsetzten. Denn mal im Ernst: Wer würde heute schon gern in der verknöcherten Bundesrepublik der 50er-Jahre leben?

Die sehenswerte Ausstellung „68. Pop und Protest“ läuft noch bis zum 17. März 2019 im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg.

Die Fotos wurden mir freundlicherweise vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg zur Verfügung gestellt. Den Eintritt habe ich selbst bezahlt.

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